Zur Begrüßung läuft „Who wants to live forever?“ von Queen in der Dauerschleife und wirft erste Fragen auf: Emotionale Einstimmung auf pathetisches Drama – oder ironischer Kommentar? Erinnerung an Freddy Mercury? Referenz an den Film „Highlander“? Die Fragen bleiben unbeantwortet – aber das hat bei „Ich kann nicht mehr“ von René Pollesch am SchauSpielHaus Hamburg Methode.
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Abschied von Frank Castorf am 18. Juni im SchauSpielHaus Hamburg
Die Ära von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne neigt sich dem Ende zu und auch der Streit um die Nachfolge hat sich anscheinend beruhigt – leider. Am SchauSpielHaus Hamburg wird bereits am 18. Juni ein Abschied von Castorf zelebriert: Seine Inszenierung von „Pastor Ephraim Magnus“, frei nach Hans Henny Jahnn, wird bereits abgesetzt – leider. Waren die mehr als 5 Stunden Castorf-Theaterwahnsinn für die Hamburger Bürger eine zu große Zumutung? Ich werde mir das 5 stündige Mysterienspiel voller Lust und Qual jedenfalls noch einmal zumuten und dabei vielleicht ein wenig wehmütig an die vielen anstrengenden Abende von Castorf denken…
Hier ein Einblick:
MURMEL MURMEL von Herbert Fritsch am 25. und 26. Juni im SchauSpielHaus
MURMELMURMELMURMELMURMEL – so könnte die Inhaltsangabe zur vieldiskutierten Inszenierung von Regisseur Herbert Fritsch lauten. Denn mehr Text gibt es nicht. Dabei ist Fritsch sonst vor allem für seine grotesken Wortspiele und Kalauer bekannt, wie er am SchauSpielHaus bereits mit Stücken wie der fantastischen SCHULE DER FRAUEN oder DIE KASSETTE gezeigt hat. Und am Sprechtheater gilt der Text bis heute als das Höchste. Da Fritsch sich aber gerne über die Hochkultur und Sehgewohnheiten am Theater lustig macht, ist ein Stück wie MURMELMURMEL von Autor Dieter Roth nur konsequent. Und zudem medienwirksam und polarisierend, wie die Einladung zum Theatertreffen 2013 sowie die Kritiken und Kommentare auf nachtkritik vermuten lassen. Oder der Bericht im ZDF:
Sweet Memories: René Pollesch’s ROCCO DARSOW
„Du kannst mir doch nicht so unerwartet deine leidenschaftliche Liebe erklären!
Sowas macht man nicht.“
Eigentlich fällt es bei Stücken von René Pollesch oft schwer zu sagen, worum es eigentlich geht: Kapitalismuskritik? Neurobiologie? Bei Rocco Darsow hat sich Pollesch dieses Mal eher beschränkt, oder sagen wir: konzentriert. Auf die Liebe, oder deren Unmöglichkeit. Weiterlesen
Christoph Marthaler: I will always love you
„Tessa Blomstedt gibt nicht auf – Ein Testsiegerportal von Christoph Marthaler und Ensemble“ wird von der Volksbühne als Abend angekündigt, an dem es um Online-Dating, Partnervermittlung und -suche im Internet geht. Hätte ich das ohne diese Vorabinformation verstanden? Vielleicht nicht, aber neben diesem rationalen Verstehen gibt es ja noch mehr. Weiterlesen
Marthaler’s ENTERTAINER am SchauSpielHaus
„Der Entertainer“ von John Osborne handelt nicht nur vom Niedergang der englischen Varietés in den 1950er Jahren und vom vergänglichen Ruhm von Stars des Entertainments, sondern übergeordnet auch von der Verzweiflung von Menschen, die keinen Platz auf der Bühne der Gesellschaft finden und gegen sozialen Abstieg und Perspektivlosigkeit einen tragischen Kampf führen.
„Nobody loves you when you’re down and out“
Regisseur Christoph Marthaler bringt mit seinem „Entertainer“ die faszinierende Schönheit des Scheiterns und der Gescheiterten auf die Bühne des Schauspielhauses, die von Duri Bischoff entsprechend als heruntergekommener Theatersaal mit viel morbidem Charme gestaltet ist.
„Wir sind Figuren in einem Stück, das keiner mehr sehen will“
„Der Entertainer“ erweist sich als erstaunlich zeitloses Stück: Der permanente Wunsch Aufmerksamkeit zu erhalten, zu gefallen und zu unterhalten ist heute präsenter denn je. Die Bühne oder auch das Fernsehen sind längst nicht mehr die einzigen Orte penetranter Unterhaltung, schließlich bietet das Internet sehr viel leichter zugängliche Plattformen zur unverfrorenen und unzensierten Selbstdarstellung, die nicht selten tragisch-komische bis geschmacklose Formen annimmt. Marthaler nimmt auf diese digitalen Formen der Selbstinszenierung allerdings keinen expliziten Bezug und vermeidet somit eine krampfhafte Aktualisierung des Dramas.
„Wir spielen hier ja immerhin ein Sozial-Drama“
Marthalers „Entertainer“ wirkt wie aus Zeit und Raum gefallen: Die politischen und sozialen Krisen, die in Osbornes Stück mit der britischen Suez-Krise sehr konkret sind, werden nicht weiter benannt, aber Namen und Orte von Krisen sind ohnehin austauschbar. Marthaler erschafft für seinen „Entertainer“ einen Raum voller nostalgischer Anachronismen, von der wunderbar swingenden Tanz-Kapelle „The Archie-Rice-Allstars“ (Musiker: Andreas Böther, Volker Griepenstroh, Hartmut Kayser, Mickie Stickdorn) bis zu den tragisch-komischen Tänzerinnen (Altea Garrido, Veronica Garzón, Begoña Quinones), die diverse Stürze und Erniedrigungen ertragen müssen. Gleiches gilt für das durchweg hervorragende Ensemble (Jean-Pierre Cornu, Rosemary Hardy, Irm Hermann, Jan-Peter Kampwirth, Josef Ostendorf, Sasha Rau, Bastian Reiber, Bettina Stucky, Michael Wittenborn), das sich von einer schlechten Nummer zum nächsten rassistischen oder sexistischen Witz hangeln muss, begleitet und getragen von viel Gin und Vergangenheitsromantik. Eine mögliche Erkenntnis des Abends: Früher muss alles ganz schlimm gewesen sein, wie die schrecklich-schönen Lieder (Musikalische Leitung: Andreas Böther) und die polyester-knisternden Kleider (Kostüme: Anja Rabes) zeigen. Aber die unzähligen Kalauer, die größtenteils heutigen Unterhaltungsshows entlehnt sind, verdeutlichen schmerzlich, dass es immer noch schlimmer geht.
„So let’s all drink to the death of a clown“
Wie so oft bei Marthaler muss das Publikum während der gut 160-minütigen Inszenierung einiges ertragen, vor allem an zermürbender Monotonie, denn Marthaler lotet auch gerne die Schmerzgrenzen aus. Aber dem „Entertainer“ gelingt es bei allen Höhen und Tiefen des Show-Business, auf dem schmalen Grat zwischen Sinn und Sinnlosigkeit und zwischen Respekt und Respektlosigkeit zu tanzen. Große, aber auch schmerzliche Unterhaltung!
Erstveröffentlicht auf GODOT – Theatermagazin
Der Entertainer von John Osborne
Musik von John Addison u.a., Deutsch von Helmar Harald Fischer. In einer Spielfassung für das Deutsche SchauSpielHaus Hamburg
Regie: Christoph Marthaler, Bühne: Duri Bischoff, Kostüme: Anja Rabes, Musikalische Leitung: Andreas Böther, Choreografie: Altea Garrido, Licht: Annette ter Meulen, Dramaturgie: Stefanie Carp
Mit: Jean-Pierre Cornu, Rosemary Hardy, Irm Hermann, Jan-Peter Kampwirth, Josef Ostendorf, Sasha Rau, Bastian Reiber, Bettina Stucky, Michael Wittenborn, Tänzerinnen: Altea Garrido, Veronica Garzón, Begoña Quinones, Musiker: Andreas Böther, Volker Griepenstroh, Hartmut Kayser, Mickie Stickdorn
Das Theater mit der Jelinek
Elfriede Jelinek ist in der kleinen und überschaubaren Theaterwelt von Hamburg gerade unumgänglich.
Im November habe ich ja bereits über DIE SCHUTZBEFOHLENEN nach Elfriede Jelinek in der Regie von Nicolas Stemann am Thalia Theater geschrieben Weiterlesen
Kafkaesque? ICH, DAS UNGEZIEFER im MalerSaal SchauSpielHaus
Erster Eindruck beim Betreten des sonst eher weitläufig und kühl wirkenden MalerSaals: düstere Enge. Das Bühnenbild von ICH, DAS UNGEZIEFER nach Kafkas Erzählung DIE VERWANDLUNG ragt bis in die Zuschauerreihen hinein: Weiterlesen
Herbert Fritsch + SCHULE DER FRAUEN am SchauSpielHaus Hamburg, Teil II
Anders als bei Filmen kommt es bei Theaterstücken eher selten vor, dass ich mir eine Inszenierung mehrfach ansehe. Mit Ausnahme der zwölfstündigen Wahnsinnsvision BORKMAN von Vegard Vinge + Ida Müller im Prater der Volksbühne, die ich dreimal überlebt habe und deren Folgeschäden ich jetzt noch spüre.
Gestern habe ich die SCHULE DER FRAUEN nach Molière in der Inszenierung von Herbert Fritsch am SchauSpielHaus Hamburg zum zweiten Mal gesehen. Warum? Weiterlesen
SCHULE DER FRAUEN von Herbert Fritsch am SchauSpielHaus Hamburg
Wahnsinn mit Methode
Während DER RAUB DER SABINERINNEN am Thalia Theater wie eine etwas fade Kopie von der [S]PANISCHEN FLIEGE an der Volksbühne wirkte, ist die SCHULE DER FRAUEN tatsächlich extrem gut gelungen: Albern und witzig, aber spitzzüngig und hintergründig. Fritsch verlässt sich dieses Mal weniger auf Slapstick und Hysterie, sondern mehr auf Wortwitz und Absurdität, was der inhaltlichen Ebene Weiterlesen